Sein Name war Taube

Freitag Abend – ich sitze wieder in der Regionalbahn auf dem Weg zur Arbeit.
Mein mp3-Player gibt nichts mehr her.
Zum dritten mal höre ich jetzt Earth Wind an Fires „September“.
Hätte ich ein Smartphone, würde ich jetzt wahrscheinlich Angry Birds spielen.
Aber das habe ich nicht.

Somit bin ich also gezwungen den zarten Stimmen meiner Nachbarinnen zu folgen.
Den Anfang der Unterhaltung scheine ich bereits verpasst zu haben. Ich steige an dem Punkt ein, an dem eine der drei Damen die Konversation mit den Worten „Aldee, isch sag nur de Junge hat voll de schöne Name und so. Isch kann das zwar nich aussprechen, aber übersetzt heißt sein Name Taube, wie de Vogel.“ fortführt.
Ihre Freundin entgegenet daraufhin „Boah, escht voll schööön!“.

Für einen Moment fühle ich mich zu meinem letzten Erlebnis mit einer Taube zurück versetzt:
Es war ein stiller Sonntagmorgen. Meine Nachtschicht war grade vorbei und ich wartete am Bahnhof auf meinen Bus.
Um mich herum hörte ich nichts als den leichten Regen, der sanft auf den Asphalt prasselte und das leise Summen der Straßenreinigungsmaschine, welche langsam ihre Runden um die Busbahnsteige zog.
Die Stimmung war grau. Der Himmel war grau, der Asphalt war grau und die Pfützen die im Asphalt den Himmel wiederspiegelten waren grau. Vor mir, auf der Straße, lag eine graue Taube. Dem Anschein nach war sie tot. Ihre Augen quollen ein wenig hervor, doch abgesehen davon wirkte sie so, als hätte sie sich nur ganz kurz für ein kleines Schläfchen hingelegt. Eine Art „Powernapping“ wie es in der heutigen Gesellschaft heißt.
Langsam wangte ihr Federkleid im Wind. Nichts hätte diese idyllische Tristesse an einem Sonntagmorgen übertreffen können.
In der Ferne hörte ich die Kehrmaschine, welche sich nun in meine Richtung bewegte. Ihr sanftes Brummen brachte mich in eine Art Trance. Mein Blick war starr auf die Taube gerichtet, deren Federn sich immer noch rhythmisch im Wind bewegten. Das Geräusch der Kehrmaschine wurde almählich lauter, indem sie sich mir Stück für Stück näherte.

Alles Weitere kann sich der  Leser denken.

Während die Kehrmaschine über die Taube fuhr, machten ihre kleinen Knochen das selbe Geräusch, wie das Knacken einer Wallnuss an einem winterlichen Nachmittag vor dem Kamin.
Sobald der Wagen die Taube passiert hatte, bleibt er stehen. Sein Fahrer lehnte sich nach draußen um die Taube zu begutachten, welche wie ein himbeer-grauer Matschhaufen auf der Straße lag.
Gekonnt schaltete er den Rückwärtsgang ein und fuhr mit preußischer Genauigkeit immer wieder vor und zurück,  vor und zurück, bis nichts mehr von der Taube übrig blieb und er seinen Weg fortführte,  um noch die restlichen Straßen dieser Stadt zu reinigen.

„Das entscheindend  Charakteristische dieser Welt ist ihre Vergägnlichkeit.“ (Franz Kafka)

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