In einer gerechten Welt…

Ich bin mir noch nicht sicher ob es eine Art Fluch ist, oder wirklich einfach nur eine Eigenschaft öffentlicher Verkehrsmittel, dass ich regelmäßig merkwürdigen Menschen begegne.
Gestern bin ich mit dem RE6 wieder nach Essen gefahren.
Als ich das erste Abteil betrat war ein Großteil der Sitze mit Herren besetzt, die die gesamte Frühjahrskollektion  von „Lonsdale“ trugen in Kombination mit einem feschen Kahlschnitt. Da ich mich etwas fehl am Platz fühlte, machte ich mich auf den Weg ins nächste Abteil, was zu meinem Erschrecken nicht anders aussah. Kurze Zeit später war ich im letzten Abteil angekommen, was sich von den vorherigen nur darin unterschied, dass in der Mitte ein Afrodeutscher saß. Ich setzte mich eine Reihe vor ihn. Vor mir ertönten aus einem Handy mit sagenhaftem 2D-Soundeffekt Geräusche eines Maschinengewehrs, die so exquisit arrangiert waren, dass man damit versuchte anhand bestimmter Rhythmen Musik zu machen. Und das in der Dauerschleife für etwa 90min Zugfahrt. Nachdem nichtmal mehr Fort Minor über meinen MP3 Player diese Geräusche übertönen konnte, setzte ich verzweifelt meine Kopfhörer ab. Einer der Herren mit  kahlrasiertem Kopf bewegte sich auf den Afrodeutschen zu: „Sach mal, hast du keine Angst?“, „Nein, hast du etwa Angst“, „Ja und zwar vor so Leuten wie dir, die Leuten wie mir die Jobs wegnehmen“, „Ich glaube du hast eher Angst davor, dass du dem Druck der Gesellschaft nicht gewachsen bist und nicht genügend Leistung bringst um in dieser Gesellschaft bestehen zu können!“. Nachdem der Herr mit Migrationshintergrund dies sagte, war ich mir sicher, dass er und ich jetzt sterben müssten. Das Gespräch nahm allerdings einen sehr unerwarteten Verlauf. „Weißt du was, du hast Recht! Da hinten sitzt meine Ex-Frau. Die hat mich schon drei Monate nach unserer Hochzeit betrogen. Das hat mir das Herz zerrissen. Man weiß einfach nicht, an was man in dieser Gesellschaft noch glauben soll. Deshalb fühl ich mich auch so wohl mit meinen Kollegen hier. Wir fahren heute nach Oberhausen, wo noch mehr von uns sind und weißt du was, da werden wir endlich mal respektiert. Da kannst du in Jogginghose und Trainingsanzug rumlaufen und keiner macht dich dafür fertig. Mein Onkel, der war auch so drauf, den hat auch keiner Ernst genommen. Ich schon! Der ist vor ein paar Monaten gestorben. Ich hab ihm eine Seebestattung arrangiert. Weißt du, wie schön so eine Seebestattung ist?“ Den Tränen nahe fragte er „Sag mal wo kommst du denn eigentlich her?“, „Aus Bielefeld“, „Nein ich meine, wo kommen deine Ahnen her?“ , „Achso, das meinst du… Senegal!“,“Weißt du, wo meine Ahnen herkommen?“, „Nein…“, „Aus Posen! Das liegt heute in Polen. Aber in einer gerechten Welt gehört Posen zu Deutschland!“, „Aha, du ich muss jetzt leider aussteigen“,“Machs gut mein Junge, aber war echt voll schön mit dir zu schnackerln!“, „Jo, tschüss“.
Hätte jetzt noch etwas spannenderes passieren können? In der Tat, die Kamerunische Fußballnationalmannschaft hätte einsteigen können, aber ganz so weit kam es nicht. Dafür stieg ein halber Zug voller angetrunkener Dortmund-Fans ein. Einer der Kahlköpfigen schrie plötzlich „Schalkööööö!!!“. Das war der Moment, wo ich mir eigentlich ziemlich sicher war, nicht mehr heile in Essen anzukommen. Doch alles lief mal wieder anders als erwartet. Die Dortmund-Fans begannen ihr gesamtes Repertoire an Dortmund-Hymnen vor zu tragen. Das musikalische Repertoire der Faschos war recht begrenzt, weshalb ein erschreckend sachliches Gespräch über Fussball begann. Einer der Dortmundfans, war daraufhin leicht irritiert, da er nicht damit gerechnet hatte sich so gut mit den Typen unterhalten zu können. Er stellte dann die Frage in den Raum „Sacht mal, was seid ihr eigentlich genau?“. Der Typ der sich zuvor noch mit dem Afrodeutschen unterhalten hatte, antwortete darauf „Naja, sagen wir es so, wir sind schon verdammt hardcore!“ Am Ende einigten sie sich darauf, solange Bayern nicht Meister wird, ist die Welt noch in Ordnung.

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