Das Wort der Woche

Das Wort der letzten Woche ist unumstritten der „demographische Wandel“. Was für ein grandioses Wort unser Staat nur damit geschaffen hat. Zum zweiten Mal in der Geschichte haben die deutschen keine Modeerscheinung aus dem Englischen übernommen, sondern ihr eigenes, ganz persönliches Trendwort erschaffen. Der einzige Begriff, der dies „toppen“ kann, ist Egon Bahrs „Wandel durch Annäherung“ (auch oft als „Aggression auf Filzlatschen“ bezeichnet).

Der demographische Wandel scheint die neue Bedrohung auf Filzlatschen zu sein, welche die Gemüter Deutschlands dermaßen in Unruhe bringt, dass zum ersten Mal nicht „Hitlers secret affairs“ das ARD Thema der Woche sind, sondern wir selbst, die aufgrund unseres zunehmenden Alters die Rentenkassen bald nicht mehr tragen können. Wir befinden uns in einer „negativen Spirale von wachsenden Kosten und sinkenden Einnahmen“. Unser revolutionärer Geist muss sich nun daraus befreien.

Die Studie „Deutschland 2020“ vom Berlin-Institut nimmt uns mit ihrem Fortschrittsbewusstsein ein wenig die Angst davor, im Alter von 95 Jahren niemanden zu haben, der uns die Schnabeltasse reicht und unseren wund-gesessenen Popo mit Penaten-creme einschmiert.

Ein zentraler Ansatz sei dabei die Reurbanisierung. Es solle gefälligst kein Geld mehr in die Sanierung von Außenbezirken und Kommunen gesteckt werden. Stattdessen gilt es „Städte attraktiver zu machen und familien- und kinderfreundlicher zu gestalten“. „So lässt sich auch die ökologisch unerwünschte Zersiedlung im Umland der Städte bremsen. Pendlerpauschale und Eigenheimzulage, in Wirklichkeit versteckte Subventionen für die Automobilindustrie und die Bauwirtschaft, beschleunigen den Zerfall der Städte. Erfolgreiche Ansätze der Reurbanisierung, wie in Leipzig, sollten unterstützt und vervielfältigt werden.“

Selbstverständlich ist das eine ziemlich dufte Idee, wenn man bedenkt, welchen Anreiz der Osten mit seinem idyllischen Städtewesen schon gewonnen hat. Wie traurig nur, dass eine derartige Maßnahme wahrscheinlich das Ende für Heathville bedeuten würde. Zumindest würde ich mich dann nicht mehr von der hinterhältigen Autoindustrie ausnutzen lassen und würde den bösen Kapitalisten mal ’nen gewaltigen Tritt in ihren baumwollbedeckten Kapitalistenpopo verpassen.

Nehmen wir uns also alle ein Beispiel an Leipzig.

Die Studie schlägt weiterhin vor, dass wir stattdessen in die ganzen leerstehenden Plattenbauten ziehen sollten. Wer braucht denn schon Gärten… Das private Eigenheim in der Vorstadt zerstört doch eh nur den Lebensraum der heimischen Bachstelze.

Des Weiteren sollten Subventionen für Kohleförderung und andere sinnlose Veranstaltungen, die nur dazu dienen, Arbeitern und Gewerkschaftlern einen Grund zu geben, sich wieder wie 1848 zu fühlen, komplett gestrichen werden. Für die ganzen neuen Hartz 4 Empfänger finden wir bestimmt eine schöne Beschäftigung, wie beispielsweise die Städte attraktiver zu machen, in dem wir die Plattenbauten ganz einfach mit Blümchen bemalen.

Eine andere geniale Überlegung ist, dass Föderalismus ja eigentlich komplett überbewertet wird. So kleine fisselige Bundesländer wie Bremen oder das Saarland sollten sich doch mal überlegen, ob es nicht doch viel schöner sei, sich mit anderen Bundesländern zusammenzuschließen. Ich meine, wer lebt denn heutzutage noch in einer föderalistischen Struktur… Länder, wie die USA und Kanada… und was haben sie davon? Arrogante Franzosen, die einen eigenen Staat gründen wollen und nervige Mexikaner und Ureinwohner, die es einfach nicht lassen können, in einem friedvollen Land Unruhe zu stiften.

Wichtig sei es auch kürzere Ausbildungszeiten zu schaffen. Selbstverständlich habe ich in einen Hauptschüler mit 6 Monate langer Ausbildung vollstes Vertrauen.

Und außerdem: „Junge Männer ohne ausreichende Bildung finden seltener eine Partnerin zur Familiengründung als durchschnittlich Qualifizierte“. Ich wusste es doch, dass es sich in all den Talkshows, wo es um ungewisse Vaterschaften und Beziehungskrisen geht, nicht um Hartz 4 Empfänger handeln kann, sondern vielmehr um unsere akademische Führungsschicht, was man allein an den sprachlichen Fähigkeiten der Talkshowgäste erkennen kann.

„Weiterbildung sollte nicht nur auf jüngere Mitarbeiter beschränkt sein … die Vorstellung des unproduktiven Alten ist falsch… Das Potenzial älterer Menschen sollte besser erforscht und gezielt eingesetzt werden… Gleichzeitig stellen die „jungen Alten“ ein großes, ungenutztes und kreatives Potenzial dar… Senioren können wichtige Aufgaben erfüllen, wie beispielsweise Altenpflege und Ausländerintegration“. Senioren pflegen Senioren, während ehemalige Nazis unseren „Dazukömmlingen“ ein bisschen Nachhilfe in deutscher Geschichte geben. Warum nicht…

„Deutschland braucht in Zukunft mehr Einwanderer“. Selbstverständlich sollen mit einer gezielten Einwanderungspolitik nur die „besten Köpfe“ erworben werden. Ich bin mir sicher, dass diese in einem neuen, attraktiven Deutschland, vor allem in den Regionen Ost- und Süddeutschland sehr viel Spaß haben werden. Wahrscheinlich mehr als die ganzen qualifizierten deutschen Fachkräfte, die unser jetziges Deutschland verlassen. Was die wohl denken, wenn die erstmal unsere restaurierten Plattenbauten sehen… diese egozentrischen Auswanderer werden sich noch mal richtig ärgern.

Punkt 15 der Studie lautet „Kinder selbstverständlich machen“. „Anders als in vielen anderen Ländern gelten Kinder in Deutschland nicht als Normal- sondern häufig als ökonomischer Problemfall.“ (Denn du bist Deutschland: unser ganz eigener ökonomischer Problemfall! Wir lieben dich!). Dennoch sei es vollkommen unerforscht, warum die Deutschen so viele Hemmnisse haben, was ihren Kinderwunsch angeht. Wir sollten uns laut Punkt 16 ein Beispiel an den Franzosen nehmen, die weiterhin fleißig Nachwuchs zeugen. Klar doch – in einem Staat, voller verhütungsfeindlicher Katholiken und Ganztagsschulen – da macht ein ökonomischer Problemfall mehr den Kohl auch nicht fett.

Nun lasst uns gemeinsam „Abschied nehmen von unrealistischen Visionen“ und einem positiven, fröhlichen Deutschland entgegen gehen. Denn du bist Deutschland!

Somit verabschiede ich mich mit den Worten meiner arbeiterfreundlichen Oma: „Schuld an allem hat eh nur das Kapital!“

Artikel bei der BPB

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